Wie Kinder mit Migrationsbiografie bessere Leistungen bringen
Sie lesen einen Beitrag aus der Tageszeitung "Die Presse" - dort erschienen in der Printausgabe am 03. Februar 2024:
Rund ein Drittel der österreichischen Schülerinnen und Schüler hat sie seit gestern Schwarz auf Weiß, die Leistungen des ersten Semesters. Der Rest muss auf das Zwischenzeugnis noch ein wenig warten. Aber erinnert man sich an die jüngsten PisaErgebnisse, so ist es quer durchs Land vor allem das Fach Mathematik, das Sorgenfalten auf der Stirn beschert. Insgesamt gelten 16 Prozent der Jugendlichen Österreichs als Risikoschülerinnen und -schüler. Seit Jahren ist bekannt, dass besonders jene mit Migrationsbiografie schlechtere Leistungen haben.
Weil den Psychologinnen Dagmar Strohmeier und Petra Wagner von der Fachhochschule Oberösterreich gängige Erklärungen dafür, wie ein fordernder sozioökonomischer Hintergrund oder fehlende Sprachkenntnisse, nicht genügten, gingen sie dem sogenannten Immigrant-Achievement-Gap in einer groß angelegten Studie nach gewandert bzw. beide Elternteile im Ausland geboren – durchwegs schlechtere Noten als jene ohne erbrachten. Um herauszufinden, woran das liegt, wandten die Forscherinnen ein statistisches Modell an, das die individuelle, familiäre sowie schulische Ebene miteinander verschränkt berücksichtigt.
Der Vergleich aller Mittelwerte differenzierte das Bild: „Die Migrantinnen und Migranten haben nicht nur schlechtere Leistungen, sondern sie haben auch ein höheres Risikoverhalten, etwa was Schwänzen anbelangt“, fasst Strohmeier zusammen. „Aber sie investieren wesentlich mehr Zeit in die Schulaufgaben als die Kinder ohne Migrationserfahrung und lernen mehr Stunden am Tag. Gleichzeitig spüren sie den Leistungsdruck in der Schule mehr, haben mehr Schulangst und ein niedrigeres Selbstkonzept in Bezug auf ihre
Was davon erklärt aber nun den Unterschied zwischen den Leistungen von Kindern mit und ohne Migrationserfahrung? Um diese Frage zu beantworten, suchten die Forscherinnen zuerst nach all jenen Faktoren, die generell mit guten bzw. schlechten Noten direkt in Verbindung stehen. Drei kristallisierten sich heraus: „Schulangst ist ein Risikofaktor für alle, ebenso ein niedriges Selbstkonzept und fehlende Elternunterstützung beim Lernen“, sagt Strohmeier. Anhand dieser Variablen lassen sich bessere oder schlechtere Leistungen im Prinzip vorhersagen.
Berücksichtigt man dann die Migrationserfahrung, bleibt nur mehr ein einziger Faktor übrig, der in Zusammenhang mit besagter Leistungslücke steht (Mediator): die Schulangst. Kurzum: „Weil die Migrantenkinder eine höhere Schulangst haben, erbringen sie schlechtere Leistungen.“
Die gute Nachrichte: Einer hohen Schulangst ließe sich mit didaktischen Methoden begegnen, meint die Psychologin. „Lehrerinnen und Lehrer haben viele Möglichkeiten, allen Kindern und insbesondere denen mit Migrationserfahrungen die Angst zu nehmen. Da könnte man konkret ansetzen und gezielt gegensteuern. Das ist der Weg aus der Malaise.“
Ganz reduzieren werde man die Unterschiede zwischen den Leistungen nicht können. „Diese sind vermutlich objektiv auch vorhanden, was verständlich und ganz normal ist, wenn man zum Beispiel noch nicht so gut Deutsch spricht oder gerade erst angekommen ist“, betont Strohmeier. Darüber hinaus verlasse sich das Schulsystem in Österreich (im Unterschied zu Ländern mit Gesamtschulen) auf die Mitarbeit der Eltern. „Aber wenn man zumindest an der Schulangst ein bisschen arbeitet, dann können die betroffenen Kinder ihre Kräfte mehr mobilisieren und haben somit auch höhere Leistungen.“
Weil nicht anzunehmen ist, dass sich die psychologische Verfasstheit der Schülerinnen und Schüler in Oberösterreich von jener der anderen Bundesländer unterscheidet, seien die Ergebnisse ihrer Studie auch auf das ganze Land übertragbar.
In ihrem neuen Buch „Stärkenorientierte Schulsozialarbeit“(Kohlhammer-Verlag, 2023) erinnern Strohmeier und Wagner daran, dass der Fokus auf bestehende Probleme oft wenig hilfreich ist. „Wir glauben, dass eine Stärkenorientierung im Schulsystem eine heilsame Wirkung hat“, unterstreicht Strohmeier.
„Manche Kinder und Jugendliche hören überhaupt nie etwas Positives. Würden alle Lehrkräfte wachstums- und stärkenorientiert unterrichten und die vielen Talente ihrer Schülerinnen und Schüler sehen, wären deren Leistungen wahrscheinlich besser.“Auch, weil Lernen eben ein individualisierter, nichtlinearer Prozess ist. „Und Fehler zu machen ist ein Teil vom Lernen.“
Um die Stärken überhaupt besser wahrnehmen zu können, braucht es jedoch fachliches Wissen und Werkzeuge. Als wichtige Ressource von außen kommt der Schulsozialarbeit eine bedeutende Rolle zu, etwas, dem sie in dem Buch ebenso wie in der Lehre an der FH Rechnung tragen würden.
Das Allerwichtigste sei jedenfalls, so Strohmeiers Resümee, eine humanistische Grundhaltung und „dass Lehrkräfte davon ausgehen, dass jeder Mensch kompetent ist und zugehörig sein möchte, und wenn ich diese Haltung habe, geht es nur mehr um scheinbare Kleinigkeiten“. Schon die Art, wie Feedback gegeben werde, mache einen Unterschied: „Also, ob ich als Reaktion auf eine schlechte Deutschnote sage: ,Okay, in dem Bereich hast du noch viel zu lernen, da musst du dich anstrengen.‘ Oder: ,Du tust dir in Deutsch halt schwer.‘“