Junge FH-Professorin für Angewandte Mathematik berechnet Steuerungen für stark biegsame Roboter der Zukunft
Karin Nachbagauer (37) lehrt und forscht am FH OÖ Campus Wels an den Schnittstellen von Mathematik, Maschinenbau und Informatik. Was sie daran am meisten fasziniert: Genau die „alten Handwerkszeuge“ Mathematik, Maschinenbau und Mechanik sind auch Basis für die digitale Technologiewende. Somit agiert die junge Wissenschaftlerin als eine der Taktgeber*innen am Puls der Zeit.
Derzeit ist Karin Nachbagauer neben ihrer Lehrtätigkeit an der FH OÖ in Wels häufig an der Technischen Universität München anzutreffen. Dort übt sie nicht nur eine Gastprofessur für Angewandte Mechanik aus, sondern begleitet auch einen ihrer Dissertanten, der Maschinenbau an der FH OÖ in Wels studierte. Bei einem gemeinsamen Forschungsprojekt wird ein digitaler Zwilling eines Industrieroboters entwickelt. Das Besondere daran: beim Roboterarm sollen auch biegsame Leichtbau-Komponenten eingesetzt werden. Denn für eine unproblematische Zusammenarbeit von Mensch und Maschine werden weiche, flexible Materialien an Bedeutung gewinnen. Nachbagauer über die Zukunftsidee dahinter: „Wir prüfen auch, ob sich sehr weiche Strukturen, beispielsweise Schaumstoffe, als Roboter steuern lassen. Anwendbar wäre das in der Medizintechnik, etwa, wenn Operationsroboter sich im Körper stark verbiegen, aber dennoch eine präzise Steuerung notwendig ist.“
Dieses Forschungsprojekt ist generationenübergreifend ausgelegt. Mit an Bord ist auch ein emeritierter belgischer Universitätsprofessor aus Lüttich. Der erfahrene Wissenschaftler öffnet die Welt in die vernetzte Forschungslandschaft und unterstützt mit seiner Expertise. Nachbagauer: „Unser junges, dynamisches Team kann viel von seinem Fachwissen profitieren – und er umgekehrt von uns in der Softwareentwicklung. Innovative Projekte dieser Art würde ich mir auch in Österreich mehr wünschen.“
Interdisziplinär ausgebildet
Nachbagauer erhielt 2009 ihren Diplomabschluss in Industriemathematik an der JKU. Danach wechselte sie in den Bereich der Mechatronik und absolvierte 2012 ihr Doktorat in der Technischen Mechanik. Interdisziplinäres Arbeiten ist seit langem ihr täglich‘ Brot: Als Industriemathematikerin bildet sie die Fragestellungen im Maschinenbau anhand mathematischer Gleichungen ab. Für die Lösung dieser oft komplizierten Gleichungen kommt Informatik zum Einsatz.
2013 stieß Nachbagauer zur FH Oberösterreich in Wels. Seit 2015 lehrt sie dort als Professorin für Angewandte Mathematik. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Mehrkörperdynamik. Sie berechnet die Bewegungen von Robotern und bestimmt somit, wie deren Arbeitsschritte möglichst rasch und energieeffizient ablaufen. Im Team einer FH-Forschungsgruppe ist Nachbagauer federführend bei der Entwicklung der Mehrkörper-Simulationssoftware FreeDyn im Einsatz. Damit lässt sich ein mechanisches System, z.B. ein Roboter, anhand eines digitalen Zwillings abbilden. Dieses Computerprogamm rechnet stets mit, wie sich der reale Roboter gerade bewegt, welche Kräfte auf ihn wirken und z.B. welches Gewicht er transportiert. Der digitale Zwilling kann den Roboter auch ansteuern und zur Optimierung in dessen Bewegungen eingreifen.
Auf der Homepage www.FreeDyn.at kann man die Simulationssoftware für Maschinenbau kostenfrei downloaden. Dieses Projekt wurde vom Land Oberösterreich gefördert. Davon sollen auch viele Klein- und Mittelbetriebe profitieren, die sich teure Lizenzgebühren manch anderer Marktteilnehmer nicht leisten könnten. Aufgrund dieser Software ergaben sich interessante Folgeprojekte, etwa mit KTM oder BMW. Nachbagauer: „Die Unternehmen kommen mit innovativen Fragestellungen aus dem Maschinenbau zu uns. So können wir unsere Software mit Updates immer ein Stück weiterentwickeln.“
Durch diese Auftragsforschungen aus der Industrie, aber auch durch geförderte Projekte, werden interessante Themen für Masterarbeiten bzw. Dissertationen im Bereich des Maschinenbaus an der FH OÖ in Wels angeboten. Erst vor Kurzem schloss Dr. Philipp Eichmeir (mittig im Bild) aus der Forschungsgruppe rund um Nachbagauer sein Doktoratsstudium im Bereich zeitoptimaler Steuerung von Mehrkörpersystemen unter der Betreuung von FH-Prof. PD Dr. Wolfgang Steiner (Bild links) ab.
Nachbagauer fasziniert an angewandter Mathematik, dass sich mit einfachen Gleichungen komplexe Vorgänge und Prozesse beschreiben lassen. Mathematik liefert dafür einen wesentlichen Baustein im Maschinenbau und ist somit das Werkzeug für alle Techniker*innen. „Die so genannten alten Handwerkszeuge wie Mathematik, Mechanik und Maschinenbau sind zugleich die wichtigsten Werkzeuge für die digitale Technologiewende in der Industrie“, sagt die FH-Professorin. „Diese Technologiewende muss aus meiner Sicht ein gemeinsames Projekt von Techniker*innen, Informatiker*innen und Naturwissenschaftler*innen sein. Das habe ich in meiner Arbeit verinnerlicht. Ich glaube, ich selbst bin ein Beispiel für Interdisziplinarität.“
Die Technik weiblicher machen
Die Liebe zur Technik und Mathematik wurde der gebürtigen Steirerin bereits in ihrem Elternhaus mit auf den Weg gegeben. Ihr Vater war viele Jahre im Maschinenbau tätig. Eine engagierte Mathematik-Professorin im Gymnasium in Linz befeuerte das Interesse an Mathematik zusätzlich. Als eine der wenigen Frauen in ihrem Fachbereich arbeitet Nachbagauer kontinuierlich daran, den immer noch spärlichen weiblichen Nachwuchs zu fördern. Diesen Sommer wird sie erneut eine „International Academy for Women in Science“ an der Fachhochschule organisieren. In Wels werden dazu Studierende unterschiedlichster technischer Fachrichtungen aus der ganzen Welt erwartet. Nachbagauer selbst präsentiert ihre Forschungsergebnisse auf internationalen Tagungen. Heuer engagiert sie sich auch bei der Organisation einer solchen an der Technischen Universität Hamburg.
Nachbagauers wissenschaftliches Karriereziel ist die Habilitation. Viele Bausteine dahingehend hat sie bereits absolviert. „Ich werde dieses Ziel erreichen, nur wann das sein wird, weiß ich noch nicht“, sagt sie. Als künftige technische Einsatzgebiete könnte sie sich vorstellen, sich auch in der Biomechanik und Medizinmechatronik einzubringen. „Mich würde interessieren, auch Muskelmodelle in der Software einzubauen, um diese menschlichen Komponenten auch in Robotern oder Prothesen zu simulieren.“
Privat ist die in Linz wohnende FH-Professorin sportlich sehr aktiv. Trail-Laufen in den Bergen macht ihr im Moment besonders Spaß – am liebsten im steirischen Nationalpark Gesäuse, das Insider oft als „Universität des Bergsteigens“ bezeichnen.