Das „digitale Auge“ der Sozialarbeit
Forschungsprojekt „Artificial Eye“ schafft methodischen Werkzeugkasten für die Praxis
Die Corona-Krise hat eine Entwicklung verschärft, welche sich durch die Digitalisierung vieler Lebensbereiche ohnehin zugespitzt hat: Prekäre Gruppen der Gesellschaft tauchen in virtuelle Räume ab, sind immer weniger erreichbar und schlittern am Ende in ein Paralleluniversum, welches mehr Probleme schafft, als darin gelöst werden können. Für Sozialarbeiter*innen wird es so immer schwieriger, den Kontakt mit Klient*innen zu pflegen. Das Forschungsprojekt „artificial Eye“ der FH Oberösterreich gemeinsam mit drei Sozialvereinen – I.S.I., Akzente Salzburg und migrare - entwickelt nunmehr Methoden, wie die Sozialarbeit im digitalen Raum hilfebedürftige Menschen effizient aufspüren und betreuen kann.
„Die aufsuchende Sozialarbeit, bei der Sozialarbeiter*innen Menschen aus ihren Zielgruppen aktiv ansprechen und nicht erst warten, bis diese sich melden, ist bereits gelebte Praxis. Was wir mit unserem Projekt anstreben ist es, diesen Ansatz auf den digitalen Raum zu erweitern“ erläutern die Co-Projektleiter*innen Charlotte Sweet und Franz Schiermayr vom Department Soziale Arbeit der FH Oberösterreich in Linz. Gemeinsam mit den Sozialvereinen ISI und migrare aus Oberösterreich und akzente aus Salzburg arbeiten sie in einem auf zwei Jahre anberaumten Forschungsprojekt konkret an einem Prozess für Sozialarbeiter*innen, der im Idealfall zum Goldstandard für deren Aktivitäten in der digitalen Welt wird.
Frühe Intervention ist effektiver und ökonomisch billiger
Sind Menschen aus gesellschaftlichen Gruppen mit sozialarbeiterischem Betreuungsbedarf weder auf konventionellem Wege noch über „offizielle“ digitale Kanäle wie Maildressen erreichbar, müssen dringend Alternativen her. Im Projekt wird also zunächst analysiert, wo die einzelnen Zielgruppen im virtuellen Raum aktiv sind. Hat man diese lokalisiert, gilt es in die entsprechenden virtuellen Communities einzusteigen, Kontakte aufzubauen und den Dialog zu suchen. Eine solche Community können etwa die Spieler von Online-Spielen sein. Daran anknüpfend können anonyme „User*innen“ zu konkreten Klient*innen für die Sozialarbeit werden. Unterstützung für bedürftige Menschen kann so schneller erfolgen, was nicht nur aus menschlicher Sicht besser, sondern auch aus finanzieller Sicht langfristig günstiger ist.
An der demokratischen Gesellschaft beteiligt sein
„Dieser Prozess ist im Detail nicht einfach und kann, um erfolgreich zu sein, nicht aus dem Bauch heraus, sondern nur auf Basis von Erkenntnissen aus der Sozialarbeitswissenschaft passieren“ sind die beiden Projektleiter*innen überzeugt. Zur Theorie aus der FH Oberösterreich steuern die drei Sozialvereine Erkenntnisse aus der täglichen Praxis bei. Im Idealfall sollen sich begleitend zum Projekt Peergroups bilden, in der Sozialarbeiter*innen und Betroffene ihre Erfahrungen teilen und die Forschungsarbeit befruchten.
Wie sehr das Projektkonsortium von „Artificial Eye“ den Nerv der Zeit trifft, zeigt auch die substantielle Förderung, die das Forschungsvorhaben durch die FFG (Forschungsförderungsgesellschaft des Bundes) erhält. Um im Wettstreit mit Technik und IT zu Fördermittel zu kommen, muss der Bedarf an entsprechenden Erkenntnissen tatsächlich groß sein. Auch deshalb, weil Menschen die im virtuellen Raum verloren gehen und sich nicht mehr an der Gesellschaft beteiligen, auch der Demokratie letztendlich abhandenkommen.